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"Der Wunsch nach einem Haustier sollte zuerst ins Tierheim führen"

Hester Pommerening vom Deutschen Tierschutzbund plädiert im Interview für das Ablegen von immer noch vorhandenen Vorurteilen gegenüber Hunden aus dem Tierheim. Außerdem erklärt sie, warum das Internet ein Problem ist und zum Missbrauch von Tieren führen kann und dass Kinder immer aus sich heraus motiviert sind, Tieren zu helfen und sich für sie einzusetzen.

Deutscher Tierschutzbund, Tierschutz, Hunde, Tierheim

Den Deutschen Tierschutzbund gibt es seit 1881. Was waren damals die Schwerpunkte und was hat sich seitdem in der Arbeit verändert – oder ist gleichgeblieben?


Vieles heute Selbstverständliche musste damals mühsam erkämpft werden, wie die Tierquälerei als Straftatbestand, oder dass Hunde nicht mehr per Post verschickt und als Zugtiere genutzt werden dürfen. Im Grunde unterscheiden sich die Themen, die den deutschen Tierschutz in seinen Anfängen bewegten, aber kaum von den heutigen. Auch damals ging es schon um Tiertransporte, Kastrationsprojekte, Auslandstierschutz. Im Fokus der politischen Forderungen der ersten Jahrzehnte standen neben dem betäubungslosen Schlachten vor allem sogenannte Vivisektionen – Tierversuche. Ein Thema, das uns trotz zahlreicher moderner Alternativmethoden leider immer noch beschäftigt. Mitte des 19. Jahrhunderts traten durch die Industrialisierung der Landwirtschaft verstärkt Missstände in der intensiven Nutztierhaltung auf die Agenda. Und der Veganismus als Antwort darauf spielt deshalb mittlerweile ebenfalls eine besondere Rolle für die Arbeit des Deutschen Tierschutzbundes.


Sie unterstützen Tierheime und deren Arbeit auf vielfältige Weise. Welche Hilfen werden seitens der Tierheime, die bei Ihnen Mitglied sind, am häufigsten angefragt?


Am dringendsten benötigen die meisten Tierheime finanzielle Unterstützung. Wir gehen davon aus, dass knapp die Hälfte der Tierheime in Deutschland um ihre Existenz kämpft. Das liegt in erster Linie daran, dass die Kommunen die Tierheime vor Ort finanziell nicht so unterstützen, wie sie eigentlich müssten. Denn für die Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Fundtieren sind laut Fundrecht grundsätzlich die Kommunen verantwortlich. Diese öffentliche Aufgabe wird aber nur allzu gern an die gemeinnützigen Tierschutzvereine abgegeben – ohne, dass die Kosten voll erstattet würden. Häufig werden wir deshalb auch angefragt, bei der Aushandlung sogenannter Fundtierverträge zu unterstützen und fachlich, rechtlich und finanziell zu beraten. Und insbesondere bei großen Tierschutzfällen, wenn zum Beispiel bei einem Fall von Animal Hoarding plötzlich sehr viele kranke Tiere auf einmal versorgt werden müssen, werden wir als Dachverband zu Rate gezogen. Dann können wir durch unser Netzwerk vermitteln.


Wissen Sie, wie viele Hunde aus dem Tierheim bzw. aus Tierschutzorganisationen jedes Jahr vermittelt werden können. Wird dies dokumentiert?


Aus unserer letzten Umfrage aus 2016 wissen wir, dass in dem Jahr hochgerechnet für über 239.000 Tierheimtiere ein neues Zuhause gefunden werden konnte, darunter über 43.000 Hunde und knapp 113.000 Katzen.


Warum ist es nach wie vor bisweilen schwer, Menschen ganz selbstverständlich für ein Tierheimtier zu gewinnen?


Leider gibt es noch immer viele Vorurteile gegenüber Tieren aus dem Tierheim. Viele Menschen denken, Tierheimtiere seien durch schlechte Erfahrungen „vorbelastet“. Natürlich hat jedes Tierheimtier eine Vorgeschichte, was aber nicht heißt, dass alle aus problematischen Zuständen stammen. Viele lebten vor ihrem Einzug im Tierheim bei liebevollen Haltern - bis beispielsweise finanzielle Probleme, eine Trennung ein Umzug oder schlichtweg Zeitmangel und damit Überforderung zur Abgabe führten. Ebenso kann es sein, dass der frühere Besitzer krank wurde oder verstorben ist. Manche Hunde werden außerdem wegen ihrer Rassen pauschal als gefährlich vorverurteilt. Als „Listenhunde“ dürfen sie in ihren jeweiligen Bundesländern nur unter bestimmten Voraussetzungen gehalten werden. Das erschwert den Tierheimen die Vermittlung. Auch ältere Tiere oder Tiere mit Handicaps oder Vorerkrankungen haben es erfahrungsgemäß schwerer, vermittelt zu werden. Viele Menschen scheuen die Kosten oder haben Angst, das neue Tier allzu bald wieder gehen lassen zu müssen. Dabei haben gerade diese Tiere noch mal ein Zuhause verdient, wo sie geliebt werden. Und auch Hunde, die „Problemverhalten“ zeigen, bzw. es in der Vergangenheit schwer hatten, können mit viel Geduld und dem richtigen Training bei den richtigen Menschen zu tollen Begleitern werden. Auch sie haben eine zweite Chance verdient.

Im Rahmen unserer Kampagne „Tierheime helfen. Helft Tierheimen!“ (www.tierheime-helfen.de) werben wir deshalb für ein Tier aus dem Tierheim und haben auch die Aktion „Tierheimtier des Monats“ ins Leben gerufen. Mit der monatlichen Vorstellung eines Tieres, das schon viel zu lange auf ein neues Zuhause wartet, unterstützen wir Tierheime dabei, für diese Tiere neue, liebevolle Halter zu finden, und versuchen, Tierliebhabern die falsche Scheu vor dem Gang ins Tierheim zu nehmen. Für uns ist klar: Jedes Tierheimtier bringt seine Geschichte und seinen ganz eigenen Charakter mit. Jedes ist ein Unikat, das sehnsüchtig auf ein passendes Zuhause wartet. Und die Pfleger und Mitarbeiter in den Tierheimen kennen ihre Schützlinge ganz genau und stehen den Interessenten beratend zu Seite. Wer ein Tier aufnehmen möchte, sollte deshalb immer zuerst im Tierheim schauen – hier kann man einen einzigartigen Freund fürs Leben finden, der ganz viel Liebe zurückzugeben hat.


Welche „Art“ von Menschen geht in ein Tierheim, um dort nach einem geeigneten Haustier zu schauen?


Einen typische Art Mensch gibt es nicht – genau wie die Bewohner der Tierheime sind natürlich auch die Tierfreunde auf der Suche nach einem tierischen Gefährten ganz unterschiedlich und haben unterschiedliche Vorstellungen und Wünsche. Eines ist aber klar: Jede und jeder, der auf der Suche nach einem geeigneten Haustier zuerst im Tierheim schaut, leistet einen aktiven Beitrag zum Tierschutz.


Woran erkenne ich als Interessent ein gutes Tierheim? Gibt es Kriterien, an denen ich mich orientieren kann?


Auf unserer Website www.tierschutzbund.de kann nach unseren Mitgliedsvereinen und den uns angeschlossenen Tierheimen in der Nähe gesucht werden. Diese arbeiten nach unseren Richtlinien und Empfehlungen. Grundsätzlich sind intensive Vermittlungsgespräche und genaue Prüfungen ein Zeichen von professioneller Tierheimarbeit. Den Tierheimen geht es nicht darum, ihre Tiere möglichst schnell und einfach zu vermitteln, sondern sie sollen ein passendes „Zuhause-für-immer“ finden. Das geht nur, wenn man genau hinschaut.


Ihrem Selbstverständnis nach hat jedes Mitgeschöpf „Anspruch auf Unversehrtheit und ein artgerechtes Leben“. Wie verhält es sich mit Straßenhunden, die aus dem Ausland in ein fremdes Land geholt werden?


Tierschutz macht für uns nicht an Grenzen Halt. Deshalb gilt das natürlich auch für diese Tiere – insbesondere, weil das Töten von herrenlosen Hunden in vielen Ländern der EU, anders als in Deutschland, erlaubt ist, z.B. in Rumänien, Frankreich und Spanien. Grundsätzlich ist hier aber einiges zu bedenken: Zum Teil leben die Hunde seit Generationen auf der Straße und sind an das Zusammenleben mit dem Menschen in einem Haus nicht gewöhnt. Deshalb tut man nicht unbedingt jedem Straßenhund mit der Vermittlung nach Deutschland einen Gefallen. Und auch wenn man vor dem Leid der einzelnen Tiere nicht die Augen verschließen kann, sollte klar sein: Die einzige langfristig sinnvolle Lösung für die Straßenhundeproblematik in anderen Ländern ist die Arbeit vor Ort nach dem Prinzip „Fangen, Kastrieren, Freilassen“. Im ukrainischen Odessa konnte der Deutsche Tierschutzbund so die Zahl der Straßenhunde bereits erheblich reduzieren. Leider dürfen kastrierte Straßenhunde in manchen Ländern nicht wieder freigelassen werden, sodass unser bewährtes Prinzip nicht immer umsetzbar ist. In solchen Fällen treten wir auch in den politischen Dialog vor Ort.

Für Tierfreunde in Deutschland gilt: Bei dem Wunsch nach einem Haustier sollte der erste Gang immer ins Tierheim führen bzw. der erste Klick im Internet auf die Website des örtlichen Tierheims. Hier warten tausende tolle Tiere, auch solche aus dem Ausland, auf ein neues Zuhause, denn viele Tierheime in Deutschland arbeiten mit Partnertierheimen, z.B. in Rumänien, zusammen. Vorsicht aber vor unseriösen Angeboten, die nur unter dem Deckmantel des Tierschutzes agieren und einzig auf Profit aus sind! Auch von „Frei-Haus-Lieferungen“ oder Parkplatz- und Flughafenvermittlungen können wir nur dringend abraten! In jedem Fall sollte man den Hund vor der Adoption persönlich kennenlernen, um zu schauen, ob die Chemie stimmt.


Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Probleme bzw. „Mängel“ bei Tierheimen und wie könnte man diese beheben oder verbessern?


Eines der Hauptprobleme für die Tierheime ist die unzureichende Kostenerstattung der Kommunen. Die mit den Kommunen geschlossenen Verträge sind in der Regel nicht kostendeckend. Die Vereine mussten die Differenz schon immer mit Spenden auffangen. Sie subventionieren sozusagen mit Spendengeldern die Kommunen – denn der Tierschutz, und ausdrücklich die Aufnahme von Fundtieren und beschlagnahmten Tieren, ist eine kommunale Pflichtaufgabe. Tierheime sind Tierschutzeinrichtungen - sie verstehen sich nicht als ausführende Organe der Behörden, obwohl sie für die Kommunen wichtige Pflichtaufgaben übernehmen. Die Herausforderung ist, dass wegen der kommunalen Zuständigkeit jeder Verein in individuellen Verhandlungen mit den Kommunen die Leistungsentgelte klären muss. Das führt leider dazu, dass es eine Vielfalt von Vertragsvarianten gibt.


Welches Thema – außer Corona – treibt Sie aktuell am meisten um. Welches Thema beschäftigt Sie in Bezug auf Tierheim- und Tierschutzhunde aktuell sehr stark?


Das Internet macht es heutzutage leider sehr einfach, spontan und ohne jede Sachkunde ein Tier zu kaufen. Das kann dazu führen, dass die unüberlegt angeschafften Tiere ihr Leben lang unter schlechter Haltung leiden müssen - oder sie landen über kurz oder lang im Tierheim, weil die neuen Halter ihrer überdrüssig werden oder überfordert sind. Zudem ist die Identität der Händler online kaum überprüfbar, ebenso wenig die bisherige Geschichte des Tieres. Unseriöse Verkäufer und im schlimmsten Fall kriminelle Welpenhändler haben auf Plattformen wie ebay Kleinanzeigen leichtes Spiel. Tierheime springen immer wieder für Veterinärbehörden ein und betreuen Welpen, die aus Osteuropa illegal über die Grenze geschmuggelt wurden. Die Versorgung der zu früh von der Mutter getrennten, kranken und vom Transport geschwächten Hunde bringt die Vereine oft an die Grenze ihrer Belastbarkeit – auch finanziell. Wir fordern deshalb ein Verbot des Handels mit lebenden Tieren im Internet. Eine Ausnahme sollte nur für die Präsentation von Tieren auf den Webseiten der Tierheime bestehen. Denn hier erfolgen Beratung und Kennenlernen ja vor Ort. Ein wichtiger Schritt wäre außerdem eine EU-weite Verpflichtung, Heimtiere per Mikrochip kennzeichnen und in einer zentralen Datenbank, wie FINDEFIX, dem Haustierregister des Deutschen Tierschutzbundes, registrieren zu lassen.


Sie haben eine Kinder- und Jugendabteilung. Wie lassen sich heute Kinder und Jugendliche für den Tierschutz, ehrenamtliches Engagement und Tierheimhunde motivieren und begeistern?


Wir machen die Erfahrung, dass viele Kinder und Jugendliche meist ganz aus sich heraus Interesse an Tieren haben und gar nicht erst speziell motiviert werden müssen, sich für Tiere einzusetzen, wenn man ihnen den Raum gibt. Viele Tierheime werden auch von tatkräftigen Jugendlichen unterstützt. Der Deutsche Tierschutzbund fördert diese Jugendgruppen ausdrücklich. Alle zwei Jahre wird an besonders engagierte Nachwuchs-Tierschützerinnen und -Tierschützer der Adolf-Hempel-Jugendtierschutzpreis verliehen. Außerdem bietet der Tierschutzbund im Seminarprogram seiner Akademie für Tierschutz auch die einjährige Weiterbildung zur Tierschutzlehrerin oder zum Tierschutzlehrer an. Ziel ist es, im Tierschutz Aktive so zu qualifizieren, dass sie Unterrichtsbesuche von der Grundschule bis zur sechsten Klasse gestalten können. Über 120 Tierschutzlehrerinnen und Tierschutzlehrer haben das Programm bereits erfolgreich abgeschlossen. Im Tierschutzunterricht geht es dann vor allem um Empathie. Durch Rollenspiele und Co sollen die Kinder das Verhalten der Tiere und ihre Bedürfnisse besser verstehen können – und lernen, wie sie selbst Verbesserungen für die Tiere schaffen können. Dazu zählen die artgerechte Haltung eigener Heimtiere, die Möglichkeiten Wildtiere zu schützen oder ein bewusster Konsum. Außerdem fördern wir anschauliche Exkursionen, etwa in Tierheime, in ein Versuchslabor für Alternativmethoden zum Tierversuch und auf Höfe bäuerlicher Landwirtschaft. Gerade Stadtkinder haben heute oft kaum noch Bezug oder Wissen zu Tieren. Der unmittelbare Kontakt kann den Respekt und Zugang zum Tier wieder stärken.


Der Deutsche Tierschutzbund unterstützt und betreut als Dachverband mehr als 550 Tierheime und insgesamt 740 Tierschutzvereine in Deutschland. Er hält verschiedene Maßnahmen und Angebote bereit wie Beratungs-, Informations- und Seminarangebote, Leitfäden, Hilfs-Fonds, Futterspenden, und die sog. Tierhilfewagen. Außerdem steht er als Ansprechpartner für Rechtsfragen und weitere den jeweiligen Betrieb betreffende Fragestellungen zur Seite.

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