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  • tanjadubas

"Problemhunde“ verstehen und führen

Verhaltensauffälligkeiten können verschiedene Ursachen haben, die es zu erkennen gilt. Diese Hunde brauchen vor allem Halter mit einer natürlichen Führungspersönlichkeit an ihrer Seite. In der Wolfacademy, einem Hund-Resozialisierungs-Zentrum für Hunde lernen Menschen, wie sie mit mehr Authentizität und Körpersprache ihrem Hund und sich selbst helfen. Weitere Informationen gibt es auf https://www.wolfacademy.de/

In der Wolfacademy bietet Ihr seit 20 Jahren Möglichkeiten für Hund und Halter an, um das Miteinander besser zu gestalten. Mit welchen Herausforderungen habt Ihr es zu tun?

Ganz unterschiedlich. Häufig kommen die Menschen mit so genannten Angsthunden, wegen einer Leinenaggression oder unkontrollierbarem Jagdverhalten. Also das Übliche, was man überall so kennt. Was wir jedoch in letzter Zeit immer häufiger feststellen ist, dass Hundehalter von ihrem Hund etwas fordern, was sie selbst nicht leisten: Sie wollen perfekte Hunde. So wenig, wie es einen perfekten Menschen gibt, so wenig gibt es einen perfekten Hund. Unser Ziel ist es deshalb, dem Hund endlich eine Führungspersönlichkeit Mensch zu zeigen, die er in seinem Leben bisher vermisst hat. Und ich glaube, dass uns das gut gelingt.


Euer Ansatz heißt „Natural Dog Feeling Science“, der sich mit den Ursachen von Problemverhalten befasst. Welche sind das?

Natural Dog Feeling Science bedeutet übersetzt „Die Wissenschaft des natürlichen Hundegefühls“ und sagt eigentlich schon aus, um was es hier geht. Die Gründe, warum ein Hund problematisch wird, sind vielseitig. Oft ist es so, dass Hundehalter nicht in der Lage sind, eine ruhige Führungspersönlichkeit darzustellen. Häufig überfordern sich Hundehalter selbst oder die Hunde, weil sie irgendwelche Bücher gelesen haben, in denen steht, dass diese Rasse das können und jene Rasse das haben muss usw. Es wird nicht mehr auf die natürliche Persönlichkeit des Hundes eingegangen.

Gerade bei den Auslandshunden, die wir haben, liegen die Ansprüche auf einem ganz anderen Level als bei Welpen oder Hunde von einem Züchter. Deswegen haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, den Menschen zu vermitteln, wie ein Hund denkt, wie er fühlt, wie er agiert, wie er über den Körper zeigt, was er möchte. Das ist für uns das Wichtigste im Bereich Natural Dog Feeling Science.


Wie geht Ihr vor, wenn Menschen mit ihren Problemhunden da sind?

Menschen, die zu uns in die Wolfacademy kommen, haben immer auch eigene Probleme im Schlepptau. Das stellen wir seit vielen Jahren immer mehr fest. Es kommt immer auf das Individuum Mensch und das Individuum Hund an, deshalb gibt es bei uns keine 0815 Regeln, wie wir in bestimmten Situationen vorgehen. Man kann bei uns drei Tage Ferien mit Hund machen oder vier Tage Resozialisierung oder ganz normal zu Trainings-, Welpen-, Welpenspiel- und Junghundestunden kommen oder ins Gebrauchshundetraining. Wir bieten Leinenaggressions- Kurse oder Longieren mit Hund an. Longieren ist optimal auch für den Menschen, denn hier muss er ohne Sprache auskommen.

Für uns ist wichtig: Was will der Hund und was will der Halter erreichen? Von daher gibt es keinen ausgeklügelten Plan oder ein System. Für uns ist der Respekt vor einem Lebewesen in beide Richtungen das A und O. Deshalb bekommt jeder, der zu uns kommt, eine Lösungsmöglichkeit angeboten, die er dann zuhause natürlich weiter umsetzen muss. So haben wir Kunden aus Österreich, aus der Schweiz, aus Spanien, Holland, Belgien, Dänemark, England … Wir haben tatsächlich von überall Anfragen und Kunden, denen wir nahebringen und vermitteln, welche Ansprüche ihr Hund wirklich an sie stellt.

Gab oder gibt es Hunde, bei denen „Hopfen und Malz“ verloren ist?

Hm… also um ehrlich zu sein, gibt es das manchmal bei Menschen, weil sie die notwendige Führungspersönlichkeit in sich nicht entwickeln und umsetzen können. Dann muss man erkennen, dass es wirklich partout nicht passt. Im Großen und Ganzen besteht bei etwa 2 bis 2,5 Prozent der Hunde ein massives Problem im Bereich Aggressivität. In den 39 Jahren, in denen ich das nun als Trainerin tätig bin, musste ich vier Hunde aufgeben, die dann eine Spritze bekommen haben. Das tut mir jetzt im Nachhinein noch weh.

Was wir leider auch feststellen und das ist noch wesentlich interessanter hinsichtlich auch des Verhaltens: Dass die Hunde immer kränker werden. Viele Hunde, gerade aus dem Ausland, weisen massive Impfschäden auf, haben zerebrale Allergien durch das Futter und einiges mehr. Leider ist das noch zu wenig bekannt. Über eine Fellanalyse, die wir auch anbieten, lässt sich vieles erkennen und erreichen oder verbessern. Hier kann dann weder der Halter noch der Hund etwas dafür, aber so können zumindest im gesundheitlichen Bereich Faktoren angegangen werden.

Beispielsweise kann es bei einem leichten Impfdurchbruch durch eine Staupe- oder Tollwutimpfung zu neurologischen Ausfällen im Gehirn kommen, dann ist dieser Hund überreizt von äußeren Eindrücken. Der Halter sieht dann zwar, dass sein Hund ein Problem hat, kennt aber die Ursache nicht. Wir bemühen uns dann vor dem Beginn eines Trainings, solche Dinge herauszubekommen. Denn was hat ein Hund davon, wenn er sich aufgrund körperlicher Gründe nicht konzentrieren kann. Deshalb ist es uns wichtig, Mensch und Hund ganzheitlich zu betreuen.


Gibt es Unterschiede zwischen Tierschutzhunden vom Züchter?

Das ist eine sehr gute Frage, denn leider gibt es auch schlechte Züchter und dann sehe ich gar keinen Unterschied. Sicherlich spielt bei einem Straßenhund eine große Rolle, was er erlebt hat und wie er geprägt wurde. Wenn dieser Hund in ein gutes Zuhause kommt, ist es egal, wo er herkommt. Mit einem guten Zuhause meine ich jedoch ein Zuhause mit einem Menschen an seiner Seite, der ihn nicht nur mit Liebe überschüttet, sondern mit einer konsequenten Liebe führt und lenkt. Daran mangelt es leider sehr oft.

Da wir wissen, wie massiv schlecht es sehr vielen Hunden geht, bin ich dafür, die Zuchten zu reduzieren. Für mich ist es reine Geldmache, was über den Verband des deutschen Hundewesens VDH geschieht. Aber auch die unendlich vielen Bemühungen um Auslandshunde sehe ich kritisch. Gerade die jetzige Corona-Situation zeigt, die Tierheime sind voll. Da muss grundsätzlich etwas passieren.


Wie ändert sich der Umgang der Menschen mit ihren Hunden?

Die Menschen verändern ihr Verhalten und Ihre Haltung gegenüber dem Hund. Sie lernen ihren Hund zu lesen und nicht nur mit reiner Liebe geradezu zu überfüllen. Nicht jeder Mensch kann das allerdings annehmen. Auch hier muss man sagen, etwa 3 bis 4 Prozent der Menschen sind nicht in der Lage ihren Hund zu lesen und von innen heraus in Führung zu gehen.

Das liegt sicherlich daran, dass immer mehr Kopfmenschen unterwegs sind. Sie erwarten Perfektionismus von sich und ihrem Hund und sie gehen nach einem Schema vor und fragen sich: Was muss ich dem Hund bieten, damit er glücklich ist? Sie vergessen, dass Hunde 16 bis 18 Stunden faul in der Ecke liegen, Fressen und Bewegung wollen. Oft wird vergessen, dass ein Hund auch Kopfarbeit braucht und es um eine soziale Gemeinschaft geht, nicht um ein Rudel. Eine soziale Gemeinschaft, die zuhause stattfindet und oft ist diese entweder total überdreht oder total ignorant. Das erschreckt mich schon sehr.

Wenn Menschen in der Wolfacademy erkennen lernen, wie leicht es ist, in Führung zu gehen und dass der Hund dies äußerst dankbar annimmt, dann sind das die Augenblicke, in denen auch ich mich glücklich fühle.


Du sagst, wir Menschen haben unsere Körpersprache verlernt. Was meinst Du damit?

Ja, ich sage, dass die Menschen ihre Körpersprache und ihre Authentizität verloren haben. Was ich damit meine ist, dass die Menschen auf dem Trainingsplatz ihre Gefühle sehr drastisch ausdrücken, indem sie entweder sehr weich sind und völlig dahinschmelzen oder im anderen Extrem Hardliner sind und dauernd laut „Platz“ usw. brüllen. Die vergessen dann, dass ihr Hund sehr gut hören kann. Das gehört dann in die Kategorie Perfektionismus à la „Was erwarten die Menschen da draußen wohl von mir und meinem Hund?“ Mein Hund darf nicht ausfällig sein, er muss sozialverträglich sein, soll keine Angst zeigen und nicht an der Leine ziehen, mein Hund soll soll soll …

Wo bleiben da die Dinge, die wirklich wichtig sind? Die Körpersprache zeigt hängende Schultern und es wird unentwegt auf das Handy geschaut oder auf den Hund statt auch mal die Natur und den blauen Himmel wahrzunehmen. Dabei ist körperliche Energie so wichtig für Hunde, denn sie reagieren auch auf Optik und ahmen sehr viel nach. Es geht nur noch darum, entweder den Spaziergang irgendwie zu absolvieren oder der Kalender des Hundes ist prall gefüllt mit animierenden Terminen, weil wir dem Hund etwas bieten und ihn unentwegt beschäftigen wollen. Montags Agility, Dienstag in der Hundeschule zum Grundtraining, Mittwoch Treiball, Donnerstag Mantrailing und Freitag was weiß ich noch was.

Bei überdrehten Hunden glaubt man immer noch das diese mehr Bewegung und Anspruch brauchen. Das allerdings ist selten die Ursache.

Was muss ich als Mensch mitbringen, wenn ich einem Hund aus dem Ausland oder Tierschutz aufnehmen will?

Man muss zumindest den Willen mitbringen, dass der Hund am Anfang auch mal schwierige Eingewöhnungsphasen hat. Man muss ziemlich viel Zuversicht mitbringen und man sollte alles in Maßen halten, also wieder: nicht mit Liebe überschütten, weil der arme Hund es so schwer hatte bisher. Hunde leben im Hier und Jetzt. In dem Moment, wo sie zuhause ankommen, lasst sie erst einmal ankommen, am besten nicht gleich 10 Leute, die den neuen Ankömmling umringen. Die ersten Tage und sogar Wochen gehören nur Dir und dem Hund, nichts anderes.

Der Hund braucht 48 Stunden und weiß dann, wie der Mensch tickt. Der Mensch braucht aber leider länger, um zu wissen: Welche Vorlieben hat der Hund, welche Bedürfnisse. Manche Hunde zeigen erst nach einigen Wochen, was sie gerne hätten und wie sie ticken und was sie für Ansprüche stellen. Wenn ein Hund schon nach 3 Tagen anfängt, Haus und Hof zu verteidigen, sollten die Menschen recht schnell daran denken, eine Hundeschule aufzusuchen.

Ganz wichtig ist die Sicherung der Hunde mit einem Halsband und zusätzlich einem Geschirr doppelt. Immer beides nehmen! Es passiert leider zu oft, dass Hunde sich aus den Geschirren lösen und dann herumirren, sich nicht anfassen oder gar einfangen lassen. Es gibt spezielle Moxon- oder Retrieverleinen, die als zusätzliche Führ- und Sicherheitsleine geeignet sind.

Letztlich sollten Menschen offen sein für das, was da kommt und Regeln aufstellen sowie ganz viel Zeit allein mit dem Hund verbringen.


Du hast gerade selbst einen Hund aus dem Ausland adoptieren, der blind ist. Was erwartest Du und wie willst Du mit ihm umgehen?

Ja, ich habe mich sehr auf meinen kleinen Kroaten gefreut, der leider blind ist. Aber ich habe mich bewusst für einen 6-jährigen blinden Hund entschieden. Erwarten? Nichts. Warum sollte ich etwas erwarten? Die Dinge werden sich fügen. Ich habe meine Wohnung vorher artgerecht umgestaltet, damit er sich nicht stoßen kann, mein Garten ist aufgeräumt, die Terrasse wird noch stufenlos gemacht. Blinde Hunde akklimatisieren sich in der Regel recht gut und schnell, zwischen 3 und 8 Tagen haben sie die Wohnung schon im Kopf und wissen, wo die Dinge stehen. Ich habe zudem Glöckchen hier, die ich an meine Hosen befestigen kann. So weiß er immer, wo ich bin.

Das Wichtigste ist, dass er Vertrauen zu mir findet, dass er Liebe bei mir findet und dass er sich geborgen fühlen kann. Und dann werden wir Kommandos lernen, die natürlich nicht mit Handzeichen funktionieren, sondern anders gestaltet werden müssen, damit meine Energie präsenter wird. Und auch bei mir wird der kleine Kerl erst einmal nicht von der Leine genommen. In den ersten 4 bis 7 Tagen wird er nur mit mir und meiner Katze verbringen und im Garten sein, bis er die ersten Kommandos „Stopp“ und „Links und Rechts“ beherrscht. Erst dann wird er mit unserem zweiten Hund zusammenkommen, wobei ich mir keinerlei Gedanken mache, dass sie sich nicht vertragen, denn Hunde aus dem Ausland sind in der Regel sozialverträglich.

Ich erwarte nichts außer einem wunderschönen Leben für ihn und mich und ein Hund mit Handicap passt ganz wunderbar zu einem Menschen mit Handicap.


Fotos: Wolfacademy








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