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Ida: Ein Angsthund bewirbt sich

Aktualisiert: 8. Juni 2021

Katja und Bernd wollten eine Partnerin für Ersthund Rudy. Eigentlich sollte es eine bestimmte Hündin sein, sie fuhren 350 Kilometer zur Pflegestelle, um sie kennenzulernen. Doch dann kam es anders.

Eigentlich wolltet Ihr eine andere Hündin adoptieren. Warum Ida?

Im Januar ist unser wunderbarer Rüde Wilhelm von uns gegangen und Rudy war nun allein. Er hat in vier Jahren krankheits- und altersbedingt seine kompletten Hundekumpels verloren. Sie waren ursprünglich zu fünft. Da unser neunjähriger Rudy extrem sensibel, schüchtern und zurückhaltend ist und Rüden ihn sogar oft besteigen, wollten wir gern eine Hündin zu uns nehmen, die ruhig und ebenfalls zurückhaltend ist. Gern hätten wir eine Hündin genommen, die nicht mehr ganz jung ist und natürlich aus dem Tierschutz.

Über eine Freundin bekamen wir Bilder von der süßen Doti, einer Labradormischlingshündin, und fanden sie einfach toll. Um zu sehen, ob die Chemie zwischen den beiden stimmt, haben wir Doti in der Pflegestelle besucht. Die Erstbegegnung zwischen Rudy und Doti bei einem Gassi lief am Anfang eher mäßig, entspannte sich dann aber ein wenig. Wir waren danach nicht sicher, ob das passt. Nach dem Gassi wurden wir zum Kaffee bei Nicole und Richie eingeladen und so haben wir die ganze Truppe aus eigenen und Pflegehunden kennenlernen dürfen. Rudy hatte echt Stress und bei jedem Hund, der zu ihm kam, drehte er den Kopf weg und legte sich ganz in die Ecke zu meinem Mann Bernd.

Dann kam die kleine Ada (jetzt Ida) unter den Tisch, ließ sich von Bernd streicheln und ging dann zu Rudy, der bei ihr den Kopf nicht wegdrehte. Anschließend kam sie zu mir, legt den Kopf auf meine Knie und forderte Streicheleinheiten. Während des Kaffees blieb sie bei Bernd und mir. Nicole und Richie waren sehr erstaunt, weil Ada/Ida sich nur von Richie anfassen ließ. Sie war bereits dreimal vermittelt gewesen und ist immer wieder zurückgekommen, weil sie sehr „speziell“ ist.

Wir haben dann am Abend im Hotel lange überlegt, was wir nun machen sollen. Nach einem Anruf bei Richie wollten wir mit beiden Hündinnen zusammen noch einmal Gassi zu gehen. Unsere eigentliche Favoritin Doti war zwar etwas aufgeschlossener, aber nicht wirklich an uns interessiert, während Ada/Ida sich in unserer Nähe aufhielt und sich streicheln ließ. Der letzte ausschlaggebende Moment war, als Ida sich auf meine Füße legte. Sie hatte sich entschieden und wollte ganz offensichtlich von uns adoptiert werden. Und Hunde irren nie.

Ida ist kein einfacher Hund. Wie läuft die Eingewöhnung?

Alles sehr langsam und ruhig. Ida ist eine Angst-/Panikhündin, was sehr viel Fingerspitzengefühl und Geduld bedarf. Die ersten zwei Tage haben wir das Geschirr und das Halsband angelassen, um unnötigen Stress zu vermeiden. Aber Ida hasst ihr Geschirr und das Halsband noch viel mehr. Also haben wir mit Ihr „gesprochen“ und sie hat uns verstanden. Wir haben Gurt und Halsband abgenommen und sie kommt seitdem zur Treppe, auf der ich sitze, um sich für Gassi fertig machen zu lassen. Rudy hilft uns dabei sehr und macht es ihr vor, wartet bis sie dazukommt und bleibt solange bei ihr stehen, bis sie komplett für die Tour gerüstet ist

Wir sprechen sie nicht ständig an, gönnen Ihr Ruhe und halten einen festen Rhythmus mit Gassi und Futter ein. Zum Angurten und Anleinen sitzen wir immer und draußen hocken wir uns hin, wenn sie zu uns kommen soll. Wir vermeiden in jeder Situation, von oben oder von hinten zu kommen. Wir sprechen sie bei jedem Kontakt erst an. Direkten Blickkontakt vermeide ich und schaue erst einmal leicht seitlich an ihr vorbei. Wenn Ida den Blickkontakt sucht, blinzele ich erst einmal mit den Augen. So bestätige ich sie und signalisiere meine friedliche Absicht. Lobende Worte für den Blickkontakt folgen dann umgehend. Wenn ich mich ihr nähere, schmatze ich und warte, bis sie zurückschmatzt und mir signalisiert, dass es okay ist, wenn ich sie jetzt anfasse. Sie bekommt Freiheiten, weil sie diese benötigt, aber gleichzeitig sehr anhänglich ist. Der Hütehund in Ihr und ihre Verfressenheit spielen uns da gut in die Karten. Trotzdem muss ich die ganze Umgebung im Blick behalten, weil sie bei fremden Menschen und Tieren panisch reagiert.

Sie erhält viel Lob und Bestätigung. Alles, was sie richtig macht, wird mit Leckerchen oder Streicheln belohnt. Letzteres nur in der Hocke und immer erst von der Seite mit dem Handrücken. Ida ist z. B. leider nicht immer stubenrein. Wenn Ihr ein Malheur geschieht, das ich nicht beobachtet habe, mache ich es kommentarlos weg. Wenn ich es live sehe, kommt nur ein kurzes „NEIN“. Kein Geschimpfe, kein Lautwerden … sehr wichtig. Sie hat ja eh schon Angst. Und es wird von Tag zu Tag besser.


Wie seid Ihr zu Eurer Leidenschaft für Hunde gekommen?

Wir sind beide mit Tieren bzw. mit Hunden aufgewachsen. Als junge Erwachsene hatten wir dann aus beruflichen Gründen leider wenig Zeit dafür. Denn ein Hund ist ein Rudeltier und sollte unserer Meinung nach nicht täglich viele Stunden allein zu Hause sein. Zudem halten wir es für wichtig, einem Hund ein artgerechtes Zuhause in passender Umgebung zu bieten. So habe ich mit 30 für meinen ersten alten Hund Nuna meinen Job gekündigt und mir einen Job als Grafikerin mit Hund gesucht. In der Agentur waren mehrere Hunde und somit waren das gute Voraussetzungen für uns beide.

Der zweite Hund Paul kam dann schnell hinzu. Ihn fand ich im verwahrlosten Zustand im Park. Ich habe das Veterinäramt eingeschaltet und meinen Paul übernommen. Als Nuna starb, habe ich nach einem halben Jahr Elli/Elfriede von verzweifelten Menschen übernommen, die eine Tierhaarallergie hatten. Sie kam vom Tierschutz aus Spanien. Bernd lernte ich dann mit 45 mit seinen beiden Hunden Tommy und Wilhelm kennen. Mit vier Hunden ist das im Angestelltenverhältnis nicht mehr so einfach und so habe ich mich 2013 selbstständig gemacht.


Welche Erfahrungen hast Du bisher gemacht?

Ich hatte Hunde aus unterschiedlichen Lebenssituationen, Mischlingshunde aus diversen Rassen mit ganz verschiedenen Interessen. Da ich sie im Rudel führte, musste ich zusehen, wie ich jedem altersgerecht und seinen Interessen entsprechend den Alltag mit Gassirunden und Kopfarbeit gerecht werde. Allen gemein war immer: Sie benötigen viel Liebe, Konsequenz, gutes Futter, regelmäßige Impfungen, Tierarztbesuche – gerade, wenn Sie älter wurden.

Man sollte sich klar darüber sein, dass ein Leben mit Hund oder mehreren Hunden wunderschön, aber auch zeit- und kostenintensiv ist. Je nachdem, was ein Hund zuvor erlebt hat, wie lange eine schlimme Situation im Hundeleben gedauert hat, welchen Charakter er mitbringt, kann es ganz unterschiedlich lange dauern, bis der Hund wieder zu seiner Sicherheit und seinem ursprünglichen Wesen zurückfindet.

Doch alles, was ich an Liebe, Zeit und Einsatz eingebracht habe, habe ich 1.000-fach zurückbekommen. Das Schwerste ist, sie irgendwann gehen lassen zu müssen, den richtigen Zeitpunkt zu finden und Abschied zu nehmen.


Was sind Deine Erkenntnisse nach 24 Jahren Hundeerfahrung?

Dass ich Hunde einfach liebe und mich ohne Hund nicht komplett fühle. Mir ist nicht wichtig, welche Rasse ein Hund hat, wie er aussieht, wo er herkommt und ob er jung oder alt ist, ob er vielleicht ein Ohr verloren hat, blind ist oder eine andere Behinderung hat. Wichtig ist mir, ob er zu uns Menschen passt und zu dem Hund oder den Hunden, die schon da sind.

Ein Rudel sollte zusammenpassen und ein Mensch sollte wissen, welcher Hund zu ihm und seiner Lebenssituation passt. Und das ist nicht von der Optik, sondern von meinem Charakter, dem Charakter des Hundes, der Chemie zwischen Mensch und Hund sowie Hund und Hund abhängig. Die Hunde haben dafür ein sehr viel besseres Gespür als wir Menschen.

Wir finden es zudem richtig und schön, Hunden eine Chance zu geben, die nicht die besten Voraussetzungen haben, ein Zuhause zu finden. Denn unsere Hunde hatten immer recht! Jeder ist nach anfänglichen Schwierigkeiten zu einem großartigen Begleiter geworden und hat unser Herz im Sturm erobert.


Was sind Deine Tipps für die Adoption eines Tierschutzhundes?

  • Jeder sollte sich vorher darüber klar sein, dass er keinen perfekten, lustigen, selbstsicheren Hund bekommt.

  • Es steckt eine Menge Liebe, Geduld und Arbeit darin, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Bin ich dazu bereit, diesen oft sehr langen Einsatz zu leisten?

  • Biete ich einem Tierschutzhund die passende Umgebung?

  • Kann ich mir eventuelle Zahnreinigungen, Tierarztbesuche dauerhaft leisten?

  • Ein Hund aus dem Tierschutz hat meisten nichts Gutes erfahren und eine traurige Geschichte hinter sich.

  • Die für uns normalen Tagesabläufe sind für den Hund neu, befremdlich und oft ängstigend.

  • Ein Ersthund gibt große Sicherheit und ist in vielen alltäglichen Situationen hilfreich, z.B. Wie steige ich ins Auto, wie lasse ich mich anleinen, wann gibt es Essen, wann geht es raus …? Wie verhalte ich mich bei Radfahrern, Fußgängern, Pferden, anderen Hunden …?

  • Man sollte darauf achten, den Ersthund nicht zu benachteiligen.

  • Wenn ein Ersthund im Haus ist, sollte man bei der Fütterung dabei sein und Acht geben, dass bei keinem der Hunde Futterneid entsteht.

  • Ein Tierschutzhund ist leicht mit den neuen Eindrücken überfordert und gestresst. In Stresssituationen kann der Hund aus Panik weglaufen, schnappen, sich verkriechen usw.

  • Niemals ein Schnappen persönlich nehmen. Der Hund hat vor der Situation Angst und wehrt sich. Er will nicht verletzten!

  • Eine gute Beobachtungsgabe, Geduld, Ruhe und Zeit sind Voraussetzung.

  • Man sollte die Körpersprache und Signale des Hundes lernen und verstehen.

  • Ein Hund hat es mit uns leichter, wenn wir ihn ansprechen, bevor eine für ihn befremdliche Handlung vollzogen wird.

  • Es entsteht weniger Angst, wenn wir Menschen nicht von oben oder hinten an den Hund herangehen.

  • Leichtes an dem Hund Vorbeischauen oder Kopfwegdrehen wird nicht als Angriff gewertet und entspannt.

  • Manche Hunde reagieren sehr gut auf Schmatzen als Beschwichtigung. Manche Hunde beruhigt es, wenn man leise und monoton summt und sie dabei ignoriert.

  • Permanente Aufmerksamkeit und Ansprache überfordern den Hund.

  • Auch ein Hund aus dem Tierschutz braucht Regeln.

  • Ein auf den Hund abgestimmter Tagesablauf, der fordert ohne zu überfordern ist wichtig. Gassirunden sollten kein Dauerstress werden.


Fotos: Katja Rüskens

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