Sigrid Petra Busch betreibt eine Praxis für Tiertraining, Tierenergetik und Tierkinesiologie in Niederösterreich. Tierschutz bildet einen Schwerpunkt ihrer Arbeit. Sie hat gemeinsam mit anderen Tierschützern den Verein „Streunerhoffnung Österreich“ gegründet und engagiert sich im Bereich Straßenhunde-Management. Außerdem ist sie Autorin verschiedener Bücher, u.a. des Ratgebers „Der Tierschutzhund – Behutsame Eingewöhnung und achtsames Training“ und "Das Tao der Hunde". Weitere Informationen auf www.mittierenleben.at.
Am Anfang Deines Buches "Der Tierschutzhund" forderst Du auf, sich verschiedene Fragen zu stellen. Schreckt das nicht ab?
Es ist besser, man überlegt sich mögliche Szenarien und wie man damit umgehen kann VOR der Adoption, um die Rückgabe eines Tieres zu vermeiden. Das ist nämlich für alle Beteiligten die schlechteste Option. Leider passiert es immer wieder, dass Neo-Halter*innen ohne ausreichende Vorbereitung überfordert sind, der Hund vom vermittelnden Tierheim oder der Tierschutzorganisation raschestmöglich wieder weggeholt werden muss (inklusive diffuser Drohungen, was passiert, wenn nicht). Für das Tier kann das eine zusätzliche traumatische Erfahrung sein. Jemand, der dem Tier wirklich ein gutes Zuhause geben möchte, muss sich bewusst sein, dass es möglicherweise zu Einschränkungen, Herausforderungen sowie Veränderungen kommen kann. Wenn er das in Kauf nimmt, dann ist er der Richtige für den Hund.
Was ist der wesentliche Erfolgsfaktor für eine gelingende Mensch-Hund-Beziehung?
Es gibt nicht DEN EINEN Erfolgsfaktor. Wesentlich sind
1. Akzeptanz
2. Wissen um artspezifische und individuelle Bedürfnisse
3. Achtsamkeit sowie genaues Hinsehen
4. Verantwortung übernehmen und Handeln (!), wenn es nötig ist.
Warum ist es wichtig, seine Erwartungen und Bilder im Kopf völlig aufzugeben?
Erwartungen machen Druck. Einem selbst und dem Tier. Bei Hunden aus dem Tierschutz weiß ich oft nicht, wie sie aufgewachsen sind, was sie erlebt haben, wovor sie möglicherweise Angst haben, was sie noch lernen müssen, um sich stressfrei entwickeln zu können. Wenn ich konkrete Erwartungen an das Tier habe, dann besteht die Gefahr, enttäuscht zu werden und die kleinen Erfolge nicht zu sehen – und damit bewusst oder unbewusst Druck auszuüben anstatt die Fortschritte positiv zu verstärken. Wenn man ein vorgefertigtes Bild eines Hundes im Kopf hat, nimmt man ihm die Möglichkeit, sein volles Potential zu leben – und man nimmt sich selbst die Möglichkeit, ihn und seine Bedürfnisse gut kennenzulernen.
Erwartungen hemmen und limitieren – und können unglücklich machen.
Bilder im Kopf sind jedoch auch wichtig – aber keine festgefahrenen. Es ist wichtig, Visionen zu haben und eine klare Kommunikation. Was wird benötigt, um Gesundheit und Wohlbefinden optimal zu fördern? Wie sieht der nächste Schritt aus in der gemeinsamen Entwicklung mit meinem Tier? Dabei ist es auch nötig, Teilschritte für eine mögliche Zielerreichung zu definieren, so werden auch Trainingspläne aufgestellt.
Jeder Hund bringt uns durch seine Persönlichkeit Geschenke, die manchmal unsere eigene Sicht auf die Welt und den Alltag verändern können. Diese Geschenke können wir nicht sehen und annehmen, wenn wir Scheuklappen aufhaben – und Erwartungen sind nichts anderes als Scheuklappen.
Mensch oder Hund: Wer muss sich wem anpassen?
Mit einem anderen Lebewesen zusammenzuleben, erfordert Kompromisse von beiden Seiten. Gerade, wenn es sich um unterschiedliche Spezies handelt. Hunde sind sehr anpassungsfähig. Leider neigt der Mensch dazu, diese Eigenschaft auszunützen – meistens nicht absichtlich, aber aus Unwissenheit, Unachtsamkeit und Ignoranz. Das mündet oft in Krankheit oder Verhaltensänderungen des Tieres.
Es ist wichtig, dass die hündischen Grundbedürfnisse erfüllt werden. Futter, Bewegung, Sozialkontakt, mentale Stimulierung ganz allgemein. Und dann müssen die individuellen Bedürfnisse des jeweiligen Hundes berücksichtigt werden (Was macht er besonders gerne? Wofür wurde er einmal gezüchtet? Benötigt er körperliche Unterstützung etc.)
Kniffelig wird es dann, wenn man einen hündischen Partner bekommt, der ganz andere Interessen als man selbst hat. Hier geht es dann um Akzeptanz und Management – wie kann ich die Talente und Interessen aller Teammitglieder bedienen, um die Motivation hoch zu halten und Gesundheit sowie Wohlbefinden zu gewährleisten? Mehr dazu in meinem zweiten Buch „Das Tao der Hunde“....
Energetisch betrachtet: Woran erkennst Du, ob ein Hund „glücklich“ ist?
Das ist tatsächlich keine einfache Frage. Wichtige Indikatoren für mich sind Körper und Verhalten. Gesicht, Mimik, Augen, Rutenhaltung, Gesamteindruck würden mir jetzt ad hoc dazu einfallen.
Gibt es körperliche Probleme und/oder Reaktionen? Wie steht der Hund im Gewicht? Wie sieht sein Fell aus? Wie seine Stirnpartie? Macht er dort viele unphysiologische Falten? Wie ist die Ohrenhaltung? Wird die Rute locker getragen oder ist sie in irgendeiner Form angespannt? Wie fühlt sich die Muskulatur an? Wie verhält sich der Hund? Ist er unruhig? Sucht er die Nähe vom menschlichen Partner? Ist er im Gleichgewicht?
Ein Hund strahlt mit seinem ganzen Wesen aus, wie es ihm geht. Das lässt sich nicht an einem einzelnen Punkt festmachen. Es ist die Summe vieler kleinen Zeichen, die zeigen, wie es ihm geht. Wenn man dafür aufgeschlossen ist und es ein wenig geübt hat, kann man auch selbst fühlen, wie sich das Tier fühlt. Man kann Trauer, Angst, Anspannung, Schmerz etc. spüren, wenn man genau hinsieht und hinspürt. Ich versuche in meinen Sitzungen, den Menschen Anhaltspunkte mitzugeben, mit denen sie selbst einschätzen lernen, was ihr Tier ihnen mitteilen möchte, wie sein Wohlbefinden ist, was es braucht. Denn der/die HalterIn lebt mit dem Tier und kann am schnellsten reagieren, wenn es nötig wird.
Du empfiehlst, dem eigenen Hund – soweit möglich – einen Namen zu geben. Warum?
Namen schaffen bewusst und unbewusst Bilder in unserem Kopf. Wenn ein Tierschutzhund noch nicht auf seinen Namen hört, ist es einfach, ihm bei seinem Neustart einen passenden Namen zu geben. Jeder Name hat eine Bedeutung, die meisten Namen sind sehr alt, und es schwingen hier immer gewisse Energien mit. Energie folgt dem Fokus, d.h. wenn ich meinem Tier gewisse Eigenschaften wünsche, dann macht es Sinn, dementsprechend einen Namen auszuwählen. Meinen Angsthund habe ich Etu genannt, das steht für Sonne. Für mich ist es ein erster Schritt, sich ganz bewusst auf das neue Familienmitglied vorzubereiten.
Mit welchen Themen kommen Tierhalter*innen zu Dir?
Die Themen sind sehr unterschiedlich, weil jedes Mensch-Hund-Team individuell ist, mit eigenen Vorerfahrungen, Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen.
Unruhe, Unsicherheit, Ängstlichkeit, plötzliche Verhaltensänderungen, Probleme bei Spaziergängen sind nur ein paar Beispiele.
Alles hat einen Grund, eine Ursache. Mein Anliegen ist es, so lange in die Tiefe zu gehen, bis ich verstanden habe, worum es genau geht! Stress aus unterschiedlichen Gründen ist ganz oft die Ursache für diverse Symptome. Reizüberflutung, Schmerzhaftigkeit, zu wenig Schlaf, mentale und körperliche Über- oder Unterforderung, Änderungen im Familienverband, emotionale Belastungen u.v.m. verursachen Stress.
Akzeptanz ist ein wesentlicher Schlüssel, um das Wohlbefinden des Tieres wiederherzustellen. Weiters ist es sinnvoll, ein Tagebuch zu führen, da viele HalterInnen sich bis dato z.B. überhaupt keine Gedanken über den Schlafrhythmus ihres Tieres gemacht haben. Sehr wichtig ist mir auch der respektvolle, achtsame und höfliche Umgang mit dem Tier. Wir überschreiten durch Unwissenheit sehr oft Grenzen, was dazu führt, dass sich Hunde zurückziehen, nicht mehr gerne berührt oder das Geschirr angezogen bekommen wollen. Wahrnehmungsschulung ist ein essenzieller Baustein meiner Arbeit mit Mensch-Tier-Teams. Im Fokus steht immer die Balance, die innere und die äußere – und der untrennbare Zusammenhang zwischen Physis und Psyche. Als Grundlagen meiner Arbeit würde ich die Biologie, Kinesiologie und Balancearbeit nennen.
Fotos: Sigrid Petra Busch
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