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Tier- und Menschenhilfe mit organisierter Netzwerkarbeit

Aktualisiert: 20. Dez. 2020

Aufklärung und Begleitung von (Neu-)Tierhaltern, Gegenseitige Betreuungshilfe, Nofalltelefon ... – der TSV „Nestwerk Münsterland e.V.“ hat sich in wenigen Jahren zu einem breit aufgestellten Tierhilfe-Netzwerk in der Region entwickelt. Dirk Heidotting hat den Verein 2015 zusammen mit anderen Tierschützern gegründet, um auch andere Organisationen mit ergänzenden Angeboten zu unterstützen und damit neue Wege im Bereich Tierwohl zu gehen.


Wie kam es zur Gründung des Nestwerks Münsterland?

Die Gruppe, aus der sich 2015 das Nestwerk Münsterland gegründet hat, bestand aus Tierschützern die schon länger in verschiedenen Themenfeldern im Münsterland aktiv waren. Dadurch war schnell klar, dass wir etwas anbieten wollten, das es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Es sollte eine Plattform sein, die den Tierschutz in der Region fördert und Tierheime und Auffangstationen auf verschiedene Weise unterstützt. Dadurch ist dann das Nestwerk Münsterland entstanden. Zurzeit hat der Verein ca. 170 Mitglieder.


Ihr schließt mit Eurem Verein vermutlich verschiedene Lücken bzw. bietet ergänzende Hilfe zu denen anderer Vereine an. Welche gibt es und wie sieht Euer Engagement genau aus?

Wir haben mit der Vereinsgründung ein sogenanntes „Vier Säulen Modell“ entwickelt, das die Kernfunktionen des Vereins beschreibt und bis heute Bestand hat. Dazu gehören:


1. Schulung und Aufklärung

Das Nestwerk berät Tierhalter und solche, die es werden wollen zu Fragen der Tierhaltung und hilft bei Problemen. Wir haben in unseren Reihen Experten für die verschiedenen Heimtierarten und können bei Bedarf auch auf Experten aus anderen Vereinen zurückgreifen. Darüber hinaus bieten wir Schulungen für Tierhalter und Tierschutzvereine zu vielen verschiedenen Themenfeldern an wie Erste Hilfe bei Wildtieren, Gehegebau, rechtliche Aspekte von Tierschutz/Tierrecht und speziellen Heimtierarten wie z.B. Sittiche. Auf Anfrage von z.B. Tierschutzvereinen führen wir auch bedarfsgerechte Schulungen zu speziellen Themen durch. Wichtig ist uns dabei, dass die Schulungen nicht zu teuer sind, damit auch Menschen mit geringerem Einkommen nicht ausgeschlossen sind.


2. Hilfe bei Tierschutznotfällen

Das Nestwerk unterhält ein Notfalltelefon, bei dem man anrufen kann, wenn man z.B. ein verletztes bzw. hilfebedürftiges (Wild)Tier findet. Der Verein hat viele Kontakte zu verschiedenen Wildtierhilfen, Tierärzten, Päpplern und Tierschutzvereinen, die die Tiere aufnehmen und behandeln können. Wir fungieren als Plattform, die schnell den entsprechenden Kontakt herstellt, damit dem Tier schnellstmöglich geholfen werden kann. Darüber hinaus geht das Nestwerk Tierschutzfällen nach und arbeitet, wenn erforderlich, mit den zuständigen Veterinärämtern zusammen.


3. Tierhilfe auf Gegenseitigkeit (TAG)

Mitglieder des Nestwerks können die sogenannte TAG in Anspruch nehmen. Im Fall von Urlaub oder Krankheit unterstützen sich diese, indem sie sich um die Tiere der betroffenen Person kümmern. Die Unterstützung kann mehrere Tage oder auch Wochen dauern, unter Umständen teilen sich mehrere Mitglieder die Pflege auf. Um sicherzustellen, dass die pflegende Person dieser Aufgabe gewachsen ist und ggfs. eigene Tiere artgerecht hält, wird jedes Mitglied in seinem Zuhause besucht. Dieser Hausbesuch soll weniger der Kontrolle, sondern eher dem gegenseitigen Austausch dienen. Wir möchten die Personen, die in unserem Verein aktiv sind, kennenlernen, denn sie versorgen ja evtl. Tiere eines anderen Mitgliedes, der darauf vertrauen soll, dass sein Tier bzw. seine Tiere die bestmögliche Pflege bekommen. Es kann somit vorkommen, dass Personen von einer Mitgliedschaft ausgeschlossen werden, da sie die Kriterien einer artgerechten Tierhaltung nicht erfüllen. Diese Fälle sind zum Glück aber eher selten.


4. Kooperationen

Das Nestwerk kooperiert mit ca. 45 Vereinen, Initiativen, Gruppen und Einzelpersonen, um so zusammen den Tierschutz in der Region Münsterland zu verbessern. Eine Kooperation kann sehr vielfältig sein. Neben einer finanziellen Unterstützung für bestimmte Projekte gibt das Nestwerk auch schon mal Futterspenden und gründet oder beteiligt sich an Arbeitsgruppen und Initiativen mit anderen Vereinen. Beispiele dafür sind z.B. die Initiative für Seniorenkatzen Amelie, die Tierschutz AG, das Netzwerk Katzenschutz und das Bündnis gegen Tierversuche.


Welche Angebote werden besonders nachgefragt?

Die meisten Mitglieder kommen über die Tierhilfe auf Gegenseitigkeit (TAG) zu uns, da sie persönlich Hilfe benötigen und diese Idee gerne teilen. Wir haben auch Mitglieder, die in der TAG mithelfen, obwohl sie selbst gar keine Tiere haben, da die finanziellen oder zeitlichen Ressourcen, um ein Tier regelmäßig zu versorgen, nicht gegeben sind. Darüber hinaus war in diesem Jahr zu beobachten, dass das Notfalltelefon wesentlich mehr Anrufe erhalten hat als in den Vorjahren. Vermutlich hängt dies mit der immer schwierigeren Situation bei Wildtieren zusammen, da deren Lebensräume eingeschränkt werden und die Versorgung der Jungtiere durch das Artensterben zurückgeht. Aber auch die anderen Themenfelder werden nachgefragt und „gelebt“. Von daher wird das „4 Säulen Modell“ vermutlich auf längere Zeit Bestand haben – auch wenn die Schulungen in diesem Jahr coronabedingt fast nicht stattfinden konnten. Wir hoffen, dass sich das in 2021 wieder ändert.


Wie helft Ihr Hundehaltern?

Hundehalter wenden sich meist an uns, weil sie entweder überlegen, sich einen Hund anzuschaffen und eine Beratung über die Bedürfnisse benötigen oder schon einen Hund haben und hier mit verschiedenen Problemen zu kämpfen haben. Diese können sehr unterschiedlicher Natur sein. Wenn die Probleme schwerwiegender sind, geben wir den Menschen auf jeden Fall Unterstützung durch Empfehlung einer geeigneten Hundeschule oder ggfs. eines Tierpsychologen bzw. Tierarztes oder Tierphysiologen.


Du selbst hast auch einen Hund. Mit welchen Themen sahst Du Dich konfrontiert?

Unser Hund ist vor ca. 6 Jahren zu uns gekommen. Meine Frau und ich haben ihn im Alter von 10 Monaten tatsächlich aus dem Urlaub in Portugal mitgebracht, weil wir es nicht fertiggebracht haben, ihn dort in eine Auffangstation zu geben. Auf der Straße konnte er nicht bleiben, da die dortigen Bedingungen nicht gut sind und er mehrfach fast überfahren worden wäre. Ich bin sehr froh, dass wir diese Entscheidung getroffen haben, obwohl wir zu diesem Zeitpunkt gar nicht wussten, was uns erwartet. Wir hatten aber einen „Plan B“ falls das Einleben von der Straße auf die Couch nicht geklappt hätte. Eine Bekannte mit Hundeerfahrung hätte ihn sonst übernommen. Nach den üblichen „Formalien“ wie Tierarztbesuch mit Impfung, Chippen, Parasitenbehandlung etc. und der erforderlichen Quarantäne haben wir in Deutschland durch unsere Kontakte im Tierschutz verschiedene Hundetrainer kontaktiert und uns eine Meinung gebildet. Hier gibt es doch erhebliche Unterschiede und wir haben festgestellt, dass sehr viele verschiedene Ansätze möglich sind. Wir haben uns für den Weg des „positiven Verstärkens“ entschieden und konnten so auch schon recht früh Fortschritte verbuchen – auch wenn es zugegebenermaßen immer noch kleine Baustellen gibt. Aber mit denen muss man dann entweder leben oder weiter ständig daran arbeiten. Natürlich liest man auch schon mal das ein oder andere Buch – aber der Transfer in die „Praxis“ ist manchmal schwerer als gedacht.


Was liegt Dir besonders am Herzen?

Das Thema Tierschutz an sich mit allen seinen Facetten und die dort tätigen Personen. Grundsätzlich komme ich eher aus dem Kleintierbereich, da ich meine „Tierschutzvita“ mit Kaninchen begonnen habe. Gerade Kleintiere wie Hamster, Mäuse, Kaninchen etc. fristen oft ein trostloses Dasein in viel zu kleinen Käfigen. Hier gilt es weiter daran zu arbeiten, dass die Bedingungen für diese Tiere sich wesentlich verbessern. Es gibt zwar schon eine Entwicklung in den letzten 20 Jahren, aber die ist noch lange nicht abgeschlossen, solange Käfiggrößen immer noch Empfehlungen sind und Gruppentiere weiterhin einzeln gehalten werden dürfen. Da ist uns z.B. die Schweiz weit voraus. Desweiteren wünsche ich mir eine bundesweite Kastrationsverordnung für Katzen, da hier – insbesondere im ländlichen Bereich – durch ständige Vermehrung viel Elend entsteht. Darüber hinaus wünsche ich mir eine mobile Wildtierhilfe für Münster, um verletzte oder kranke Wildtiere noch besser und schneller versorgen zu können. Durch die massiven Eingriffe in die Natur, den Klimawandel und das Artensterben wird es für heimische Wildtiere immer schwerer zu überleben. Wir können diesen Trend nicht aufhalten, aber die Auswirkungen zumindest abmildern. In diesem Zusammenhang wäre auch eine finanzielle Förderung und größere Anerkennung all der Menschen, die sich dieser Tiere annehmen, wichtig, denn die Kosten werden ausschließlich durch Spenden oder eben aus der eigenen Tasche bezahlt. Zuschüsse durch Stadt, Land, etc. gibt es nicht – oder nur in einem sehr geringen Ausmaß.


Wie seid Ihr zu den vielen Experten für die unterschiedlichen Themen und Hilfestellungen gekommen?

Wahrscheinlich wären wir nicht weit gekommen, wenn wir nicht schon im Vorfeld viele dieser Kontakte gehabt hätten. Darüber hinaus haben wir aber auch viele Tierheime, Auffangstationen etc. besucht, die wir in unserer Region noch nicht kannten, um über das wichtige Thema Kooperation zu sprechen. Durch den persönlichen Kontakt kam es schnell zu einem Austausch, wo Hilfe benötigt wird und wo Gemeinsamkeiten bestehen. Daraus sind dann erste Projekte wie Seniorenkatzen Amelie, die Tierschutz AG und das Netzwerk Katzenschutz entstanden.


Mit welchen Organisationen seid Ihr vernetzt?

Mit ganz verschiedenen Personen und Vereinen in der Region Münsterland und darüber hinaus. Dazu gehören Tierschutz- und Tierrechtsvereine, Auffangstationen, Futterhilfen, Wildtierhilfen und (Wildtier-)Päppler. Außerdem arbeiten wir mit den zuständigen Veterinärämtern in der Region zusammen.


Wie läuft die Kooperation mit anderen Tierschutzvereinen in der Region ab und welche Art der Hilfestellung könnt ihr anbieten?

Das ist sehr unterschiedlich. Meistens beginnt es mit Vermittlungshilfe, Verteilung von Flyern auf unseren Infoständen, Vermittlung von Kontakten, Futterspenden sowie Hilfe und Unterstützung bei Tierschutzprojekten und Schulungen. Im Umkehrschluss können uns unsere Partner durch die Aufnahme von Fund- und Wildtieren, Werbung für unsere Tierhilfe auf Gegenseitigkeit etc., Einladung zu Festen, auf denen wir Infostände haben können, unterstützen.


In unserem Gespräch ist mir bewusst geworden, wie viel man selbst bei Kleintieren falsch machen kann. Was konntet Ihr durch Eure Beratungs- und Aufklärungsarbeit schon erreichen?

Wir bekommen entweder Meldungen in Form einer Anzeige von schlechter bzw. mangelhafter Tierhaltung rein, die wir dann überprüfen. Alternativ melden sich auch Menschen, die gerne Mitglied bei uns im Verein werden wollen, um z.B. die Tierhilfe auf Gegenseitigkeit zu nutzen. In dem Zusammenhang trifft man bei Haltern von Kleintieren wie Mäusen, Hamster, Kaninchen oder Meerschweinchen oft auf Mängel wie z.B. Einzelhaltung bei Gruppentieren, nicht ausreichende Gehegegrößen, falsche Fütterung etc. Hier versuchen wir durch Gespräche auf die Tierhalter einzuwirken, um eine Änderung bei den Haltungsbedingungen vorzunehmen. Diese kontrollieren wir auch noch einmal nach. In einigen Fällen können wir nichts tun, da die gesetzlichen Regelungen und Verordnungen keine klaren Regelungen vorgeben, sondern eher Empfehlungen, an die ich mich halten kann, oder eben auch nicht. In diesem Fall kann man nur appellieren und hoffen, dass die Tierhalter dies umsetzen. Das gelingt auch oft, da viele Tierhalter eher unbedarft sind und sich auf die Empfehlungen im Zoohandel verlassen. Wenn die Änderungen umgesetzt werden, kann natürlich auch eine Aufnahme im Nestwerk erfolgen. Ansonsten würden wir eine Mitgliedschaft ablehnen. In schlimmeren Fällen, also wenn die Tiere in einem gesundheitlich schlechten Zustand sind, schalten wir auch schon mal das Veterinäramt ein, um so eine Verbesserung der Haltungsbedingungen oder in schlimmen Fällen auch die Fortnahme der Tiere zu erreichen.


Artgerechte Kleintierhaltung - genauso Herzensthema

Gibt es aus Deiner Sicht eine artgerechte Haltung für Kleintiere? Was ist zu beachten, um zumindest keine größeren „Schäden“ anzurichten?

Erste Probleme habe ich ja bereits angedeutet. Da es wenig Vorgaben für die Haltung von Kleintieren gibt, folgen viele Halter den Empfehlungen von Zoohandlungen, die z.B. Käfighaltung für Kaninchen usw. für absolut vertretbar halten. Oft werden die Tiere in völlig unzureichenden Gehegen z.B. im Kinderzimmer untergebracht. Leider können die Tiere nicht ihren natürlichen Bedürfnissen wie Buddeln, sich zurückziehen, springen, dem Nagetrieb nachgehen. Das ist natürlich keine artgerechte Unterbringung. Man kann diese Tiere aber durchaus „artgerecht“ unterbringen, wenn man sich mit den natürlichen Bedürfnissen der einzelnen Tierarten vor der Anschaffung auseinandersetzt und dann überlegt, ob man diesen Bedingungen gerecht werden kann. Es gibt Internetseiten, auf denen erklärt wird, wie man Gehege in der Innen- oder Außenhaltung selber baut und Beschäftigungsmöglichkeiten für die Tiere schafft.


Kann sich jeder, der Fragen hat, an Euch wenden?

Ja, absolut jeder. Wir machen keinen Unterschied, ob jemand Mitglied bei uns ist oder nicht. Uns muss es ja um eine Verbesserung der Situation der Tierhaltung gehen.


Wo gibt es Deiner Meinung nach noch viel zu tun im Tierschutz?

Oh, es ist so viel, dass meine Lebenszeit nicht ausreichen wird, um nur einen kleinen Teil der notwendigen Änderungen anzustoßen. Als Beispiele möchte ich gerne ein paar Punkte anführen, die mir persönlich wichtig wären:


- Jeder Tierhalter sollte einen Sachkundenachweis machen müssen, wie z.B. in der Schweiz üblich, um nachzuweisen, dass er überhaupt in der Lage ist, diese Tiere zu halten. Mindeststandards sollten auch für Kleintiere verpflichtend sein.

- Wildtierhilfen sollten mehr gefördert werden, da die Kosten oft auf private Päppler abgewälzt werden, obwohl das Elend vieler Wildtiere in der Stadt durch immer weniger Lebensraum, geringeres Futterangebot usw. menschgemacht ist.

- Es sollte eine grundsätzliche Kastrations- und Kennzeichnungspflicht für Katzen in allen Städten und Gemeinden geben, um das Elend streunender Katzen zu mindern.


Darüber hinaus könnten noch viele andere Punkte wie Alternativen zu Tierversuchen, eine Novellierung des Jagdrechtes, die Abschaffung von Qualzucht etc. benannt werden. Es gibt somit viel zu tun und ich hoffe, wir werden zusammen wenigstens das ein oder andere Ziel erreichen können.


Demo Ärzte gegen Tierversuche

Fotos: Nestwerk e.V.

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